Glas, das sich selbst reinigt – Superamphiphobe Beschichtungen

Forschungsbericht (importiert) 2012 - Max-Planck-Institut für Polymerforschung

Autoren
Vollmer, Doris
Abteilungen
Physik der Grenzflächen
Zusammenfassung
Brillen, Windschutz- und Fensterscheiben haben ein gemeinsames Problem: Sie verschmutzen. Auch in der Photovoltaik kämpft man gegen die Verschmutzung der Solarzellen an. Inzwischen gibt es Beschichtungen, an denen Wassertropfen kaum noch hängen bleiben. Allerdings gilt dies nicht für organische Flüssigkeiten. Ganz selten sind Beschichtungen gleichzeitig abweisend für Öle, Wasser, Seifen- und Proteinlösungen. Nicht nur Öle, sondern auch Rotwein würde von diesen Oberflächen abrollen ohne Flecken zu hinterlassen. Eine annähernd fraktale Struktur aus Silikakugeln eröffnet hier neue Möglichkeiten.

Superhydrophobizität

Als „hydrophob“ bezeichnet man wasserabweisende Oberflächen. Geht die Antipathie so weit, dass Wassertropfen leicht abperlen und dabei auch noch Schmutzpartikel mit entfernen, spricht man von superhydrophoben Oberflächen. Das wohl bekannteste Beispiel bildet die Oberfläche des Lotusblatts. Schon vor über zweitausend Jahren wurden in Asien die selbstreinigenden Eigenschaften von Lotusblättern beschrieben. Intuitiv erwarten viele Menschen, dass superhydrophobe Oberflächen extrem glatt sind. Bei genauer Betrachtung ist das Lotusblatt aber genau das Gegenteil: auf der Mikrometer-Skala ist es sehr rau (Abb. 1). Man kann sich dies veranschaulichen, indem man einen Tropfen entsprechend vergrößert betrachtet. Er entspräche dann einer im Vergleich zur Mikrostruktur auf dem Lotusblatt riesigen Kugel. Die Spitzen auf dem Lotusblatt bieten der Kugel nur geringe Möglichkeit haften zu bleiben, d. h. ein ins Rollen geratener Tropfen rollt weiter. Neben der Struktur auf der Mikrometer-Skala muss das Material, aus dem die Oberfläche beschaffen ist, bereits wasserabweisend sein. Erst beide Faktoren zusammen führen zur Superhydrophobizität.

Generell bezeichnet man eine Oberfläche als hydrophob, wenn ein Wassertropfen einen Kontaktwinkel von mehr als 90° bildet. Die Hydrophobizität hängt sowohl von der chemischen Zusammensetzung wie von der Rauigkeit der Oberfläche ab. Glatte hydrophobe Oberflächen können Kontaktwinkel von bis zu 120° aufweisen. Um den Kontaktwinkel weiter zu erhöhen, muss die Oberfläche auf einer Längenskala von bis zu 10 μm aufgeraut werden [2]. Dann ergeben sich Kontaktwinkel von bis zu 170°. In dem Fall bildet der Tropfen praktisch eine Kugel. Für die selbstreinigende Wirkung einer superhydrophoben Oberfläche ist aber nicht nur der Kontaktwinkel wichtig. Entscheidend ist außerdem, ob der Tropfen auf der Oberfläche leicht abrollt oder haften bleibt [3]. Um dies zu quantifizieren, unterscheidet man zwischen dem Fortschreitkontaktwinkel (engl. advancing contact angle) und dem Rückzugskontaktwinkel (receding contact angle). Der Fortschreitkontaktwinkel misst den Winkel zwischen Tropfen und Substrat gerade bevor sich der Tropfen weiter ausbreitet. Der Rückzugskontaktwinkel charakterisiert den Tropfen kurz vor dem Rückzug der Kontaktlinie. Die Differenz zwischen beiden Werten wird auch „Kontaktwinkelhysterese“ oder kurz „Hysterese“ genannt. Je größer die Hysterese, desto schwieriger lässt sich ein Tropfen auf der Oberfläche verschieben. Damit ein Tropfen daher leicht abperlt, muss die Hysterese klein sein. Bei superhydrophoben Oberflächen wird die geringe Hysterese dadurch erreicht, dass die Anzahl möglicher Haftstellen minimiert ist, so dass der fortschreitende und der sich zurückziehende Kontaktwinkel nahezu identisch sind. Die Flüssigkeit dringt nicht weiter zwischen die mikroskopischen Ausstülpungen, da die Oberfläche an sich bereits hydrophob ist. Der Tropfen ruht auf den vom Substrat eingeschlossenen Luftpolstern.

Superamphiphobe Oberflächen

In vielen technischen Anwendungen ist es unzureichend, dass die Oberfläche allein wasserabweisend ist, da Lösemittel oft Tenside, Alkohole oder Öle enthalten. Insofern wäre es erstrebenswert, Oberflächen herzustellen, die gleichzeitig fett- und wasserabweisend sind, d. h. superamphiphob. Im Unterschied zur Superhydrophobizität hängt der Grad der Superamphiphobizität erheblich von der Grenzflächenspannung der verwendeten Flüssigkeit ab. Sie ist ein Maß für die Anziehung zwischen den Molekülen der Oberfläche und denen im Inneren. Während kurzkettige Alkane eine Grenzflächenspannung von etwa 20 mN/m (milli-Newton pro Meter) aufweisen, besitzen viele kommerzielle Öle und Seifenlösungen Grenzflächenspannungen zwischen 30 und 35 mN/m. Da die Grenzflächenspannung zwischen dem Lösemittel und der Oberfläche auf schwachen Van-der-Waals-Wechselwirkungen beruht, ist der Kontaktwinkel auf einer glatten fluorierten Oberfläche geringer als 90°, d. h. die ebene Oberfläche ist oleophil oder ölanziehend. Wegen dieser Eigenschaft blieb lange unklar, ob die Herstellung superamphiphober Oberflächen rein konzeptuell überhaupt realisierbar ist.

Erstmals gelang es einer amerikanischen Forschungsgruppe eine superamphiphobe Beschichtung herzustellen. Die aus „Mikro-Pilzen“ bestehende semifluorierte Oberfläche wies ausgedehnte Überhänge auf, die Luft einschließen [4]. Die Krümmung an den Rändern der Überhänge bewirkt eine hohe Energiebarriere gegen das Eindringen von Flüssigkeitstropfen in diese Hohlräume. Obwohl die flache Oberfläche oleophil war, haben die Wissenschaftler einen metastabilen superamphiphoben Zustand erreicht.

Modellsystem für superamphiphobe Oberflächen

Der Arbeitsgruppe um Doris Vollmer gelang kürzlich die Herstellung transparenter superamphiphober Oberflächen, indem sie Kerzenruß als Templat nutzte [5]. Ruß setzt sich aus einigen zehn Nanometer großen Partikeln zusammen, die sich in einem lockeren, fraktalähnlichen Netzwerk anordnen (Abb. 2). Da die Rußteilchen jedoch nur über Van-der-Waals-Kräfte miteinander verbunden sind, ist die Oberfläche extrem instabil. Schon ein abrollender Wassertropfen zerstört die Beschichtung.

Um die mechanische Stabilität zu erhöhen, wird von der Rußschicht ein Glasabdruck gegossen, d. h. die Rußteilchen mit einer durchgängigen Silikaschale ummantelt. Dazu dampft man eine flüchtige organische Silizium-Verbindung und Ammoniak auf die Rußablagerung auf. Die Dicke der Schicht lässt sich durch die Aufdampfzeit und -bedingungen gezielt einstellen. Eine Erhitzung der Beschichtung auf 500 °C bewirkt, dass der Ruß verbrennt und eine hohle Silikastruktur zurückbleibt. Diese ist, was ihre Struktur und Rauigkeit betrifft, fast nicht von der ursprünglichen Rußstruktur zu unterscheiden. Wegen des geringen Durchmessers der Silikawände und ihrer hohen Porosität ist die Beschichtung durchsichtig (Abb. 3) [6].

Anschließend wird das Siliziumoxid durch eine Gasphasenbeschichtung mit einem Fluorsilan hydrophobisiert. Die Oberflächen sind nach Silanisierung nicht nur superhydrophob sondern superamphiphob. Selbst Flüssigkeiten wie das dünnflüssige Öl Hexadekan, das sogar eine Teflonschicht benetzt, bildet auf der Oberfläche einen kugelförmigen Tropfen und rollt bereits bei einem Neigungswinkel von weniger als 5° von der Oberfläche herunter. Die Beschichtung ist so stark ölabweisend, dass, abhängig von der Aufprallhöhe, sogar ein aufprallender Öltropfen nicht haftet, sondern zurückprallt, bis er schließlich wie ein Ball auf der Oberfläche liegen bleibt (Abb. 4). Selbst wenn der obere Teil der Glasstruktur abgetragen ist, bleibt die Glasstruktur superamphiphob. Dies resultiert daraus, dass sie in ihrem Inneren genauso aufgebaut ist wie an ihrer Oberfläche. Erst wenn die Beschichtung dünner als ein Mikrometer wird, verliert sie ihre selbstreinigenden Eigenschaften.

Die Verbesserung der mechanischen Stabilität bildet eine der Herausforderungen, um die Beschichtung für industrielle Anwendungen nutzbar zu machen. Selbst aufrieselnder Sand führt zu einer sukzessiven Abnutzung der filigranen Glasstruktur. Diese Beschichtungen bilden vielversprechende Modellsysteme um herauszufinden, warum und in welcher Qualität ein Material Wasser und Öl abweist. So belegen diese Messungen, dass neben hinreichender Oberflächenrauigkeit Strukturen mit konvexen Krümmungen hilfreich und eventuell sogar essentiell sind.

Literaturhinweise

1.
D'Acunzi, M.; Mammen, L.; Singh, M.; Deng, X.; Roth, M.; Auernhammer, G. K.; Butt, H.-J.; Vollmer, D.
Superhydrophobic surfaces by hybrid raspberry-like particles
Faraday Discussions 146, 35-48 (2010)
2.
Papadopoulos, P.; Deng, X.; Mammen, L.; Drotlef, D.-M.; Battagliarin, G.; Li, C.; Muellen, K.; Landfester, K.; del Campo, A.; Butt, H.-J.; Vollmer, D.
Wetting on the microscale: shape of a liquid drop on a microstructured surface at different length scales
Langmuir 28, 8392-8398 (2012)
3.
Pilat, D. W.; Papadopoulos, P.; Schäffel, D.; Vollmer, D.; Berger, R.; Butt H.-J.
Dynamic measurement of the force required to move a liquid drop on a solid surface
Langmuir 28, 16812-16820 (2012)
4.
Tuteja, A.; Choi, W.; Ma, M. L.; Mabry, J. M.; Mazzella, S. A.; Rutledge, G. C.; McKinley, G. H.; Cohen, R. E.
Designing superoleophobic surfaces
Science 318, 1618-1622 (2007)
5.
Deng, X.; Mammen, L.; Butt, H.-J.; Vollmer, D.
Candle soot as a template for a transparent robust superamphiphobic coating
Science 335, 67-70 (2012)
6.
Deng, X.; Mammen, L.; Zhao, Y.; Lellig, P.; Muellen, K.; Li, C.; Butt, H.-J.; Vollmer, D.
Transparent, thermally stable and mechanically robust superhydrophobic surfaces made from porous silica capsules
Advanced Materials 23, 2962-2965 (2011)
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