Teppich als Schutzschild
Membranprotein bewahrt Bakterien und Chloroplasten vor Stress
IM30 löst bei Stress seine komplexe Ringstruktur auf und entfaltet sich als schützender Teppich auf der Membranoberfläche / Oberflächenstruktur erstmals beobachtet
Stress ist auf allen Ebenen zu finden und selbst Bakterien und Pflanzenzellen müssen sich dagegen zur Wehr setzen. Sie erzeugen dann vermehrt bestimmte Proteine, aber wie die Abwehr genau funktioniert, ist oft noch unbekannt. Eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter der Leitung von Prof. Dr. Dirk Schneider von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat nun in Kooperation mit Forschenden des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung rund um Jun.-Prof. Stefan Weber einen Schutzmechanismus aufgedeckt, der bei Cyanobakterien und in den Chloroplasten von Pflanzenzellen abläuft. Ringförmige Proteinkomplexe lagern sich dabei an die Zellmembran an und lösen sich auf. Die einzelnen "freigelassenen" Proteine breiten sich dann wie ein Teppich auf der Membranoberfläche aus. "Mit diesem Schutzschild können sich die Bakterien oder Chloroplasten gegen Stress, der besonderes die Membranen betrifft, verteidigen", so Prof. Dr. Dirk Schneider, Leiter der Abteilung Membranbiochemie im Department Chemie der JGU.
Der Biochemiker hat mit seinem Team das Protein IM30 untersucht, das Innere Membranprotein mit einer Masse von etwa 30 Kilo-Dalton. Bereits in früheren Studien konnte gezeigt werden, dass das Protein IM30 in Photosynthesezellen an der Bildung und Erhaltung des Membransystems beteiligt ist. Ohne IM30 kommt es zu einem Rückgang der Anzahl an Thylakoidmembranen, in denen die Lichtreaktion der Photosynthese abläuft, und schließlich zum Tod der Zelle. Der bislang unbekannte Mechanismus der Membranstabilisierung konnte nun im Detail beobachtet und aufgeschlüsselt werden. Die Ergebnisse der Kooperationsarbeit wurden im Nature-Fachjournal Communications Biology veröffentlicht.
Rasterkraftmikroskopie zeigt Auflösung der Ringstruktur und Bildung von Teppichen
"Wir wussten, dass IM30 mit Stress zu tun hat. Aber wir wussten nicht, wie diese Proteine es schaffen, die Zellen auf molekularer Ebene zu schützen", erklärt Schneider den Ausgangspunkt der Untersuchungen. Das Rätsel wurde durch die Zusammenarbeit von Biochemie und Biophysik, insbesondere mit Prof. Dr. Stefan Weber vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung und Prof. Dr. Eva Wolf vom Institut für Molekulare Biologie (IMB), gelöst. Mithilfe der Rasterkraftmikroskopie konnten die Forschenden beobachten, wie sich die Ringstrukturen auflösen und Teppiche bilden. "Wir konnten so zum ersten Mal diese schönen Strukturen auf der Oberfläche von Membranen sehen", so Schneider.
Intrinsisch ungeordnete Proteine übernehmen wichtige Funktion
IM30 gehört zu den intrinsisch ungeordneten Proteinen, einer Gruppe von Proteinen, die in den letzten Jahren immer stärker in den Fokus der Wissenschaft gerückt ist. Wenn IM30 an die Membran bindet, entfaltet es sich zur Hälfte, was die Untersuchung besonders schwierig macht. Das traditionelle Verständnis von Proteinen ging davon aus, dass ihre Funktion mit der Struktur in Verbindung steht und dass ungeordnete Strukturen mehr oder weniger keine Funktion übernehmen. "Jetzt zeigt sich immer mehr, dass diese ungeordneten Proteinabschnitte durchaus an Interaktionen beteiligt sind", so Schneider zur Einordnung der Ergebnisse in den größeren Zusammenhang.
Die Studie beschreibt damit die bislang rätselhafte strukturelle Basis für die physiologische Funktion von IM30 und verwandten Proteinen, darunter auch das Phagen-Shock-Protein A, Hauptvertreter der Proteingruppe, zu der auch IM30 gehört. "Die Studie wirft damit ein Schlaglicht auf das bisher unerkannte Konzept der Membranstabilisierung durch intrinsisch ungeordnete Proteine", schreiben die Autoren in der Veröffentlichung in Communications Biology. Zwar wurde die Selbstorganisation von Proteinen auf Membranoberflächen, die in membranbedeckenden Proteinstrukturen resultiert, bereits früher beobachtet, zum Beispiel bei der Alzheimer-Krankheit oder Parkinson. In diesen Fällen ist die Folge allerdings eine Membran-Destabilisierung. Im Gegensatz dazu erhält der schützende Proteinteppich von IM30 die Integrität der Membran.
"Unsere Entdeckung beantwortet nun die Frage, wie das Protein die Membran schützt. Dadurch werden neue Fragen aufgeworfen, zum Beispiel wie die kleinen Proteine auf dem Teppich interagieren", so Schneider zu den nun geplanten Arbeiten.
Die Zusammenarbeit bei diesem Projekt erfolgte unter anderem im Rahmen des Max Planck Graduate Center mit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (MPGC). Das MPGC wurde im Jahr 2009 gegründet, um gemeinsame Projekte und Promotionen zwischen der JGU und den beiden in Mainz ansässigen Max-Planck-Instituten für Polymerforschung und für Chemie zu fördern.