Der Bienenflüsterer

Ein Artikel aus dem Newsletter des Max-Planck-Instituts für Chemie

Am hinteren Ende des MPIC-Geländes brummt und summt es. Hinter dem grasbewachsenen Hügel, zwischen den Kirschbäumen, stehen mehrere Bienenstöcke, die insgesamt  acht kleine Bienenvölker à sechs- bis achttausend Bienen beheimaten.

Die Bienenkolonie, die 2019 auf unserem Institutsgelände (Max-Planck-Institut für Chemie, Anm. d. Red.) angesiedelt wurde, ist Gegenstand eines besonderen Forschungsprojekts von Dr. Stanislav Balouchev, Physiker am benachbarten Max-Planck-Institut für Polymerforschung, und Prof. Dr. Katharina Landfester, Direktorin des Arbeitskreises „Physikalische Chemie der Polymere“.

Wie sind Sie zur Bienenforschung gekommen?

Ich bin gelernter Laserphysiker, habe aber auch einen starken Bezug zur Biologie. Seit 20 Jahren arbeite ich am MPI für Polymerforschung mit organischen Chemiker:innen, und jetzt auch mit Mikrobiolog:innen zusammen. Meine Motivation, Bienenvölker zu untersuchen, hat auch eine persönliche Komponente: eine Verbundenheit mit dem Land und der Landwirtschaft, die von meinem Großvater stammt, der ebenfalls Bienen hielt.

In unseren Laboren messen wir die räumliche Verteilung von Temperatur und Sauerstoff in Zellkulturen, die verschiedenen Belastungen ausgesetzt sind. Wir haben kürzlich ein Verfahren zur vollständig optischen Bestimmung der zweidimensionalen Temperatur- und Sauerstoffverteilung in Zellkulturen patentiert, welches insbesondere minimalinvasiv ist. Eine solche Messung gibt wichtige Hinweise zum Zustand der Zellkultur.

In Analogie dazu geht es auch in dem Bienenprojekt um die hochaufgelöste Messung der Temperaturverteilung, nur diesmal im Bienenstock.

Seit wann läuft Ihr Bienenforschungsprojekt und worum geht es?

Als Wissenschaftler:innen in der Arbeitsgruppe um Prof. Katharina Landfester wurden wir auf das Massensterben der Europäischen Honigbiene Apis mellifera, und speziell auf das Phänomen der  Colony Collapse Disorder (CCD) aufmerksam. Wir stellten uns die Frage: Gibt es einen objektiven, messbaren Parameter, der den gesundheitlichen Zustand eines Bienenvolkes als Ganzes bestimmt? Wir stellten die Analogie zum menschlichen Körper her, wo die Verteilung der Körpertemperatur entscheidend für die Beurteilung des Gesundheitszustands ist. Wir sind der Meinung, dass diese räumliche Verteilung der Temperatur im Superorganismus Bienenvolk bis jetzt noch nicht ausreichend untersucht wurde.

Im Jahr 2018 haben wir das Projekt zur Messung der räumlichen Verteilung der Temperatur in einem Bienenvolk gestartet. Ab dem 1. Juli 2019 förderte die Volkswagen-Stiftung unser Projekt im Rahmen der Förderinitiative "Experiment!".

Welchen Nutzen können Ihre Erkenntnisse bringen?

Mit der dreidimensionalen Temperaturmessung wollen wir herausfinden, ob und wie wir die evolutionäre Strategie der in Indochina verbreiteten Bienenart Apis cerana übernehmen können. Diese Art bekämpft die invasive Milbe Varroa destructor, indem sie die Temperatur im Nest erhöht. Unsere europäischen Honigbienen können sich nicht auf diese Weise vor den Milben schützen, und die Parasiten verursachen bei ihnen die Krankheit Varroatose, welche zurzeit nur durch die Gabe von Chemikalien bekämpft werden kann. Wir hoffen also, eine alternative, natürliche Therapie der Krankheit zu finden.

Zudem wollen wir unsere experimentellen Daten der wissenschaftlichen und breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen und so zum grundlegenden Wissen über soziale Insekten beitragen.

Wie funktioniert Ihre Methode zur Temperaturmessung?

Zunächst einmal müssen wir festlegen, welche Temperatur für die Entwicklung des Bienenvolkes entscheidend ist. Es handelt sich um die Temperatur, die knapp unter dem Boden der Wabe gemessen wird, wo sich die Larven entwickeln.

In dieser Phase wird das Versuchsbienenvolk auf sechs elektronischen Waben aufgestellt, die jeweils mit 91 kleinen Temperatursensoren ausgestattet sind. Zusätzlich befinden sich um jeden Temperatursensor herum vier Wärmequellen, die vom Computersystem individuell gesteuert werden können. Unsere Technologie ermöglicht die Messung der lokalen Temperatur im Bienennest an mehr als 540 Punkten mit einer zeitlichen Auflösung von einer Minute. Innerhalb eines Jahres sammelt sich eine große Menge an Daten an, die das thermische Verhalten eines ausgewachsenen Bienenvolkes in jeder Phase seiner Entwicklung beschreibt.

Im Moment nutzen wir noch konventionelle halbleiterbasierte Sensoren, aber im nächsten Schritt wollen wir Miniatur-Temperatursensoren auf Polymerbasis einsetzen. Diese Sensoren werden wir idealerweise mit einem dreidimensionalen Drucker auf einen Träger drucken können. Dadurch werden wir die Auflösung erhöhen und die Temperatur in jeder einzelnen Wabenzelle erfassen können.

Fühlen sich die Bienen durch die elektronischen Waben nicht gestört?

Es war natürlich nicht einfach, Sensorwaben herzustellen, die von den Bienen nicht als Fremdkörper empfunden werden - die Eigenschwingungsfrequenz der Sensorwabe ist entscheidend. Anfangs lösten sich die Wachsplatten von der Glasfaseroberfläche, während die Bienen die Waben bauten. Um das zu verhindern, bedeckten wir die ersten Sensorplatten mit einem dünnen Baumwollwindeltuch, gossen flüssiges Wachs darauf und brachten das Prägemuster in Form einer Bienenwabe direkt darauf auf. Später sind wir auf Polyestergewebe umgestiegen, das genauso wasserabweisend ist wie Wachs. So haben die Bienen unsere elektronischen Waben akzeptiert, obwohl es nicht ihre eigenen sind! Die elektronischen Sensorwaben hat unser Elektroniklabor am MPIP entworfen, das auch den Messcomputer und die Software zur Verfügung stellte. Die eigentliche Herstellung der elektronischen Waben erfolgte in der Elektronik des MPIC.

Haben Sie bereits begonnen, die Temperatur im Bienenstock aktiv zu regulieren?

Die Technik dafür haben wir. Aber: Wir beschränken uns immer noch auf das Messen. Wir wollen die Bienen zuerst verstehen, bevor wir in das Leben im Stock eingreifen. Wir könnten probeweise die Temperatur erhöhen – wir wissen aber noch nicht, wie sich ein willkürliches Aufheizen auf den Superorganismus auswirken würde. Bevor wir uns dazu entschließen, brauchen wir noch mehr verlässliche Statistiken.

Das heißt, die Bienenstöcke sind noch eine Weile am MPI für Chemie heimisch?

Ja, das Gelände eignet mit seiner großen Grünfläche ideal für unsere Völker und ist gleichzeitig für uns sehr gut zu erreichen.

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